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Zum Sonntag: Kirche für die, die anders sind

Veröffentlicht am Sa, 16.11.2013

Frau M. hat einen Blumenstrauß neben sich stehen. Sie strahlt, sie freut sich. Die Blumen sind von ihrer Mutter. Nora, ihre dreijährige Tochter, sitzt am Bettrand und malt auf ihrem Zeichenblock. Frau M. hatte eine Hirnblutung, die zum Glück zum Stillstand gekommen ist. Sie ist glücklich, es geht ihr wieder gut. Immer wieder nimmt sie ihre Tochter in den Arm und streichelt sie. Ein paar Tage später erzählt sie, dass sie ihre Tochter gerne hätte taufen lassen. Doch da kam die Trennung von ihrem Mann dazwischen. „Ich wollte mir die Blicke der anderen in der Kirche ersparen.“ 
Frau M. ist alleinerziehend – wie viele andere auch. Mehr als 7 Millionen Alleinerziehende gibt es bei uns, die meisten davon sind Frauen.
Ich frage mich: Warum tun sich viele in unserer Kirche und Gesellschaft so schwer mit Menschen, die anders sind? Mit Menschen, die nicht in das klassische Familienbild mit Mutter, Vater und Kinder passen. Mit Singles. Mit Menschen, die als homosexuelles Paar in glücklicher Partnerschaft leben…
In den vergangenen Monaten ist in der Kirche ein heftiger Streit über eine Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland entbrannt. Darin werden unterschiedliche Familienformen beschrieben, die es in unserer modernen Gesellschaft gibt. Es wird dazu ermuntert, über das klassische Familienbild hinaus auch andere Lebensformen anzuerkennen. Ich bin froh, dass die EKD den Mut zu dieser Stellungnahme hat. Und ich schäme mich zugleich über viele Vertreter meiner Kirche, die diese Orientierungshilfe verurteilen und damit Menschen, die „anders“ und offensichtlich nicht gut genug sind, diskriminieren. Ich wünsche mir, – mit vielen anderen zusammen – dass sich in meiner Kirche alle Menschen wohlfühlen, auch wenn sie anders leben als ich. So verstehe ich das Leben Jesu, der für ganz unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Weise da war – ohne Vorurteil und ohne zu verurteilen.
„Ich habe einen Traum…“: dass auch Nora und ihre Mutter irgendwann erleben, sie sind in der Kirche ohne Vorbehalte willkommen und viele ihnen zeigen: schön, dass ihr da seid! Vielleicht auch mit einem Blumenstrauß?

Siegfried Fischer,
evang. Pfarrer im Ludwigsburger Klinikum und AIDS-Seelsorger

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