Zum Sonntag: Im Hier und Jetzt leben

Veröffentlicht am Sa, 28.12.2019
von Oliver Merkelbach
Dekan / Kath. Kirche, Sonstige Dienste

„Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab ...“ Immer, wenn ich diesen Satz aus dem Lukas-Evangelium höre, muss ich an die alte Römerstraße denken, die auch heute noch beide Städte miteinander verbindet und quer durch die Judäische Wüste führt. Auf dieser Straße wurde ein Mann überfallen, ausgeraubt und niedergeschlagen. Halbtot lag er in der Wüste.

Ein Priester kam des Weges, sah den Schwerverletzten, ging aber einfach weiter. Später ging ein Levit an dem Mann vorbei, ohne ihm zu helfen. Bei dieser Geschichte kommen mir Zeitungsberichte in den Sinn über Zeitgenossen, die auch heute achtlos an Menschen vorbeilaufen oder vorbeifahren, die dringend ihre Hilfe brauchen.

Warum? Der Priester war vielleicht in Gedanken noch ganz bei seinem Tempeldienst in Jerusalem. Und der Levit dachte vielleicht schon ganz an sein Zuhause oder seine Familie. Äußerlich waren sie auf dem Weg, innerlich aber ganz woanders. Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Nicht wirklich auf dem Weg sein. Nicht wirklich dort sein, wo ich gerade bin, im Hier und Jetzt.

Zum Glück kam noch ein dritter Mensch vorbei: ein Samaritaner. Dieser Mann war wirklich auf dem Weg. Er war im Hier und Jetzt. Denn als er den Schwerverletzten sah, zögerte er keinen Augenblick und half. Er ließ sich im Herzen berühren, packte an und brachte den Verwundeten zu einem Gasthof.

Wirklich auf dem Weg sein, auf dem Weg durch mein Leben. Diesen Weg wach und geistesgegenwärtig gehen. Tatsächlich da zu sein, wo ich gerade bin und gebraucht werde. Das, was hinter mir liegt, loslassen zu können, und das, was vor mir liegt, nicht schon jetzt als Last zu empfinden. Im Hier und Jetzt zu leben und wirklich mit dem Herzen da zu sein. Das wünsche ich Ihnen und mir für das kommende Jahr.

Pfarrer Oliver Merkelbach - Caritasdirektor der Diözese Rottenburg-Stuttgart