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Zum Sonntag: Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn

Veröffentlicht am Sa, 25.10.2014

„Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“Diese Worte des englischen Schriftstellers Julian Barnes beschäftigen mich, besonders in meiner Arbeit als Krankenhauspfarrer. Sie holen mich immer wieder ein, sie beschreiben manche Alltagserfahrung so treffend.Und sie erzählen von einer Sehnsucht, die ich bei mir und bei anderen wiederfinde. Die Sehnsucht nach Glück, nach gelingendem Leben. Die Sehnsucht, über das hinauszusehen, was ich vor Augen habe. Die Sehnsucht, nicht nur um mich selbst zu kreisen. Oder ist es die Sehnsucht, mich annehmen zu dürfen, weil ich weiß, dass jemand für mich da ist, der es gut mit mir meint und es – trotz allem – gut werden lässt? „Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“. Da schwingen endlose Fragen und Zweifel mit, eine schlimme Krankheit oder ein plötzlicher Unfall. Dass Menschen sich nichts dringender wünschen als „heil“ zu werden – und sich plötzlich zurückgeworfen fühlen auf ihre Wurzeln, auf das, was trägt oder auch nicht, auf manches, was im Laufe der Zeit verschüttert wurde.Ein 44-jähriger Mann sagt: „Ich kann nicht mehr glauben, früher konnte ich es noch“. Er leidet an einer unheilbaren Krankheit und erzählt aus seinem Leben. Immer wieder tauchen neue Bruchstücke auf. Manche Scherbe seines Lebens gewinnt wieder an Bedeutung. Eines Tages bittet er mich, bei jedem weiteren Besuch nichts mehr aufzugreifen, sondern ihn nur noch zu segnen und dann wieder zu gehen – so wie seine Mutter es früher immer gemacht hat. Die Tage vergehen, ohne ein weiteres Wort, bis er sich für immer verabschiedet. „Ich glaube nicht an Gott“ – Nein, das würde ich so nicht sagen. „Aber ich vermisse ihn“ – Ja, das schon! Habe selbst manch verzweifelte Frage und teile sie mit vielen anderen. Und werde mit manchem nicht fertig, was auf dieser Welt geschieht, weil es unerträglich ist.Daneben staune ich, dass der Glaube immer wieder kommt. Er hat sich stetig verändert, vieles war nicht mehr tragfähig. Und zugleich ist manches, der Segen etwa, mir bis heute wertvoll geblieben.Ich glaube an Gott, ja – aber das Vermissen bleibt auch. Siegfried Fischer,evang. Pfarrer im Ludwigsburger Klinikum und AIDS-Seelsorger

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