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Zum Sonntag: Gelebte Brüderlichkeit

Veröffentlicht am Sa, 10.08.2019

Am Mittwoch, kurz nach einer Beerdigung, sitze ich einem stillen Mann gegenüber. Er ist extra aus Bosnien angereist, um an der Trauerfeier für den Schwiegervater seines Bruders teilzunehmen. Ungewöhnlich genug, denke ich mir, mein Interesse ist geweckt. Doch er macht wenig Worte, nicht nur der Sprache wegen, wie ich bald merke. Irgendwann fängt der in Deutschland lebende Bruder an zu erzählen. „Mein Bruder hat etwas erlebt, was man kaum beschreiben kann. Es war 1994, zur Zeit des Balkankrieges. Er war mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Auto unterwegs, als er in eine militärische Offensive geriet. Das Auto wurde beschossen, seine Frau und seine beiden Kinder im Alter von sechs und zwei Jahren starben, er selbst wurde von sieben Kugeln getroffen. Als ich ihn im Krankenhaus besuchte, war er mehr tot als lebendig. An der Beerdigung seiner eigenen Familie konnte er nicht teilnehmen. Das musste ich für ihn tun. Und nun ist er extra für mich hergekommen.“ Und legt seinen Arm um ihn.

Ich halte die Luft an, suche unwillkürlich nach meinen Erinnerungen vom Jahr 94. Urlaub in Frankreich, mit meiner Frau und den drei kleinen Kindern. Campingplatzidylle, ein schöner See, alles friedlich. Tausend Kilometer weiter östlich tobte indessen der Krieg, zerstörte wahllos Menschenleben, Familien. Seine Kinder wurden nie erwachsen.  

Auch denke ich an die vielen Konflikte, die grade unter Geschwistern manchmal bis aufs Äußerste geführt werden. Fragt man nach, sind die Anlässe häufig banal. Es geht oftmals ums Geld, manchmal um vor vielen Jahren gemachte Enttäuschungen. Sie bleiben unvergeben, also hat man Gründe einander nicht mehr zu sehen. Wieder einmal wird mir bewusst, dass nicht nur unser Lebensstandard voller Luxus ist, sondern auch unsere Konflikte, die wir pflegen, die Themen, über die wir uns aufregen. Voller Luxus sind sie.

Jesus hat einmal gesagt: „Wenn du zum Gottesdienst gehen willst und dir fällt unterwegs ein, dass eines deiner Geschwister etwas gegen dich hat, dann lass den Gottesdienst warten und geh erst mal hin und versöhne dich mit ihm.“ (Matthäus 5, 23.24)

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