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Andacht- und Predigt Archiv

Zum Sonntag: Ausgerechnet Schnecken

Veröffentlicht am Sa, 10.09.2016
von Achim Dürr
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Remseck - Pfarramt Aldingen Nord - Neckargröningen
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Remseck - Pfarramt Aldingen Süd -
Pfarrer, Evang. Kirchenbezirk LB - Bezirksämter -

Beim ersten Besuch der St. Sebaldus Kirche in Nürnberg habe ich mich nur gewundert, die Sache aber nicht weiter beachtet: Schnecken in der Kirche? Tatsächlich: Die Reliquien des Heiligen Sebaldus werden von zwölf Schnecken getragen. Schnecken als Träger des Sargs? Nun, Tiere spielen in der mittelalterlichen Symbolik eine große Rolle. Adler stehen für Stärke und Weitsicht, Pelikane für die Nächstenliebe, die Kröte wird mit Hexerei in Verbindung gebracht, das Lamm symbolisiert den Opfertod Christi.Aber warum ruht das Sebaldus Grab auf Schnecken? In der Tatsache, dass die Weinbergschnecke ihr Haus im Winter mit einem Deckel ver­schließt, in das sie sich zu todesähnlichem Schlaf zurückzieht um im Frühling in wundersamer Weise wieder hervor zu kriechen, sahen Christen seit dem späten Mittelalter eine Parallele zur Ostergeschichte. Wurde doch der Leichnam Christi in ein Felsengrab gelegt, das mit einem großen Stein verschlossen wurde. Nach dem Sabbat fanden die Frauen den Stein entfernt und das Grab leer. Christus war auferstanden! So wurde die Weinbergschnecke in der Volksfrömmigkeit und der religiösen Kunst ein Symbol der Auferstehung Christi. Auch in der weiteren Tiermythologie wurde sie zum Sympathieträger. So wie sich die Schnecke auf Ihrem Weg Zeit lässt, lädt sie ein, das Tempo zu drosseln, ruhiger zu werden. Die Schnecke zeigt, was man alles verpasst, wenn das Leben nur von Hetze bestimmt ist, wenn keine Zeit mehr für die kleinen, wichtigen Dinge des Lebens bleibt. Sie ermutigt, auf dem Weg ruhig einmal anzuhalten, abzuschalten und zu bestaunen, was sonst übersehen wird. Sie ermutigt, die Anderen vorbeirasen zu lassen. Vielleicht hatte Jesus ja eine Schnecke vor Augen, als er sagte, „die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten werden die Ersten sein“. Sich in sein Schneckenhaus zurückzuziehen, wird längst nicht mehr nur negativ bewertet. Ständig strömen Nachrichten auf uns ein, ständig vibriert das Smartphone, ständig will jemand etwas von uns – wie schön wäre es, sich einmal richtig zurückziehen zu können! Richtig abschalten. Ohne Input. Ohne Fernsehen, Radio, Internet. Somit erinnert die Schnecke sogar an eine Gabe des Heiligen Geistes: Besonnenheit. Ruhe. Selbstbeherrschung. Außerdem vertieft das Schneckenhaus alleine durch seine Form das Ziel des Abschaltens: Die Spirale des Schneckenhäuschens führt langsam kreisend zu einem Punkt, zur Mitte, zu sich selbst. Und für gläubige Menschen zu Gott, zur Quelle des Lebens.

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