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Andacht- und Predigt Archiv

Überwachung oder Vertrauen?

Veröffentlicht am Fr, 17.07.2015
von Bettina Zehner
Diakonin, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Diakonat -

Die Eltern können einen Radius von zum Beispiel 500 Metern festlegen, in dem sich das Kind frei bewegen kann. Wenn das Kind die Zone verlässt, bekommen die Eltern eine Warnnachricht aufs Handy. Oder das Gerät meldet den Eltern, ob das Kind die Schule erreicht hat und wann. Und wann es sie wieder verlassen hat. Möglich ist auch, dass das Kind, wenn es sich unwohl fühlt, einen Knopf drückt. In einer ersten Stufe werden die Eltern verständigt, in akuter Gefahr oder einem medizinischen Notfall kann das Kind direkt die Notrufzentrale alarmieren.

Zuerst denke ich: 'das ist jetzt nicht wahr'. Dann: 'willkommen in der schönen neuen Welt von 1984.' Ich versuche mir das vorzustellen: das Kind macht sich auf den Weg zur Schule. Der Vater (ich bin jetzt auch mal fortschrittlich) verfolgt das und schaut, ob das Kind ankommt. Wenn es ankommt, ist alles gut. Was passiert, wenn nicht. Sagen wir, der Vater war gerade auf dem Weg zur Arbeit. Dreht er jetzt sofort um und rast zurück, ruft er jemanden an? Das muss doch organisiert werden. Oder: Das Kind geht nach der Schule in eine Gegend, die für es Sperrzone ist. Jetzt bekommt die Mutter eine Nachricht. Sie ist in einer Besprechung. Was soll sie jetzt tun? Ihre Chefin ist sicher begeistert, wenn sie dauernd überraschend den Arbeitsplatz verlässt. Oder: Das Kind fühlt sich unwohl und drückt den Knopf. Was jetzt? Lassen Mutter oder Vater alles stehen und liegen und rasen in die Schule, um nach dem Kind zu sehen? Oder rufen sie ihr Kind an? Im Unterricht? Rufen sie die Lehrerin an und fragen, was mit dem Kind ist, oder schicken sie die Oma vorbei oder alarmieren sie, weil niemand Zeit hat, die Notrufzentrale?

Ja, ich kenne die Gedanken, die Eltern durch den Kopf gehen können, wenn das Kind nicht zur gewohnten Zeit nach Hause kommt. Und an dem Prüfungstag, als die Schule anrief, um mitzuteilen, dass mein Kind fehlt, ist mir alles vor den Augen verschwommen. Ich weiß auch, wie langsam die Zeit vergeht, wenn der verabredete Anruf nicht rechtzeitig kommt.

Und trotzdem. Rechtfertigt die Angst der Eltern eine totale Überwachung ihres Kindes? Werden sie dadurch ruhiger und entspannter? Ich glaube nicht, denn kein Mensch kann 24 Stunden am Tag für einen anderen Menschen verantwortlich sein. Das ist eine Überforderung. Und auf der anderen Seite: Wie entwickeln sich Kinder, die ständig überwacht werden. Was werden das für Erwachsene? Werden sie selbstständig, können sie sich und ihre Fähigkeiten entwickeln, Situationen einschätzen? Werden sie besonders aufsässig? Oder sehr erfinderisch, weil sie alles dransetzen, der ungeliebten Überwachung zu entgehen?

In einem Interview sagte dieser Tage ein bekannter Politiker: 'Der Glaube an Gott spielt für mich eine große Rolle. Dadurch fühle ich mich behütet und habe nicht immer Angst, irgendetwas falsch zu machen. Ich kann Vertrauen in mich und meine Arbeit haben und mich in meinem Glauben zu Haus fühlen.'

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