Zum Sonntag: Wenn meine Großmutter noch leben würde

Veröffentlicht am Sa, 15.10.2016

Wenn meine Großmutter noch leben würde, hätte sie heute Namenstag. Sie hieß Theresia. Teresa von Avila (spanische Form von Theresia), war eine Mystikerin im 16. Jahrhundert, eine fromme Frau, die die Nähe Gottes suchte. Von ihr stammen  die Worte: „Tue deinem Körper Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Meine Großmutter hat das tatsächlich getan, für uns Kinder. Sie kochte für uns Tee aus Pfefferminze, die im Garten gewachsen war und auf der Bühne getrocknet wurde. Im Sommer ließ sie den Pfefferminztee kalt werden. Ihr Tee ist im Geschmack mit Tee aus Teebeuteln nicht zu vergleichen. Dazu gab es immer Brot mit viel Butter drauf und Zucker. Ich mochte es, wenn ich die einzelnen Zuckerkörnchen im Mund spürte. Wir durften essen und trinken, so viel wir wollten. Unsere Oma war wunderbar. Sie war mild, sie hatte für fast alles Verständnis. Auf ihrem Sofa im Esszimmer durften wir hüpfen. Das machte Spaß. Niemand schimpfte.Dass Großeltern wichtig sind für die Kinder, weiß man schon lange. Ihre Güte und Lebenserfahrung tun Kindern gut. Ihre Ruhe ebenso. Sie sind meist nicht mehr in ein strenges Arbeitsleben eingebunden. Enkelkinder kommen und gehen auch wieder. Für sie haben ihre Großeltern nur eine Verantwortung auf Zeit. Großeltern können entspannter sein als die Eltern. Wenn mir im Krankenhaus Patientinnen und Patienten von ihren Enkelkindern erzählen, haben sie oft Tränen der Freude und der Rührung in den Augen. „Ich muss gesund werden für meine Enkel, die brauchen mich noch“, sagen sie dann. Inzwischen kann ich das gut nachvollziehen. Kürzlich sagte eines meiner drei Enkelkinder, vier Jahre, zu mir beim Abschied:„Oma Hildegard, ich möchte dich drücken.“ Da war Gottesnähe! Ich bekam Tränen in die Augen. Und ich dachte an meine Großmutter, von der ich übrigens meinen zweiten Namen habe.