Zum Sonntag: Störungen haben Vorrang

Veröffentlicht am Sa, 08.12.2012
von Christoph Bayer
Geschäftsführender Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Tamm -
Pfarrer, Evangelischer Pfarrverein in Württemberg e.V. -
Pfarrer, Evang. Kirchenbezirk LB - Bezirksämter -

Er war ein merkwürdiger Aussteiger. Er hielt sich in der Wüste auf, lebte von Heuschrecken und wildem Honig. Und er war ein kompromissloser Bußprediger. Störend, irritierend ging er seine Zeitgenossen an. Warf ihnen Ungerechtigkeit und Habgier vor, Selbstsicherheit und falsche Frömmigkeit. So wird Johannes der Täufer in der Bibel beschrieben. Er will, dass die Menschen sich einstellen auf Jesus, den Friedenskönig. Er ruft dazu auf, das Leben zu ändern, um für Jesus bereit zu sein.
Kein Wunder, dass er bei uns im Advent praktisch nicht vorkommt. Kaum eine Krippe, wo er zu finden wäre. Irgendwie passt er nicht in unsere Adventsstim-mung mit Besinnlichkeit und Lichterglanz, leisen Tönen und Balsam für die Seele.
In der Gesprächsführung in Gruppen gibt es einen ganz wichtigen Grundsatz: Störungen haben Vorrang. Werden sie übergangen, tauchen sie an anderer Stelle auf. Und bringen dann oft mit ungeahnter Wucht die ganze Gruppe durcheinander.
Störungen haben Vorrang – eine überraschende Gebrauchsanweisung für die Adventszeit! Ja, wir sehnen uns in diesen Tagen nach Ruhe und Besinnlichkeit. Ja, wir wollen es beschaulicher, heimeliger als sonst haben. Aber da ist einer, der da nicht mitmachen will. Der unsere Ruhe stört. Der daran erinnert, dass es jetzt, gerade jetzt, um mehr geht.
Wer dieser Störung nachgeht, kann entdecken, was Advent wirklich meint. Wer sich drausbringen lässt, begegnet ungewohnten, unbequemen Fragen, so kurz vor Weihnachten: auf was kommt es an in meinem Leben? Wo werde ich ge-braucht? Wo kann ich dazu beitragen, dass unsere Welt für alle wohnlicher, gerechter wird? Wird da ernsthaft nach Antworten gesucht, dann wird es zu einer Störung, von der alle etwas haben.