Sie sind hier: Gemeindebrief > A - Z > Predigt + Andacht - Archiv

Andacht- und Predigt Archiv

Zum Sonntag: „Komm! ins Offene, Freund!“

Veröffentlicht am Sa, 14.03.2020

Das ruft Friedrich Hölderlin seinem Freund Christian Landauer zu. Und er schreibt ihm zum Geburtstag: "der Freunde Freund zu seyn, bist du geboren". Anderen Menschen Freund oder Freundin zu sein, ist demnach ein Lebens­ziel. Denn Freundschaft setzt der "bleiernen Zeit", die Hölderlin aus eigener Erfahrung kennt, etwas entgegen: sie lässt eine Wirklichkeit entstehen zwi­schen Menschen, die sich "aus innrem Werte kennen" und sich so "freudig Freunde nennen".

Ich stelle mir vor, wie Hölderlin 1788 als Theologiestudent ins evangelische Stift in Tübingen einzog und sich dort mit Georg W. F. Hegel und Friedrich Schelling befreundete.

Was haben sie wohl miteinander geredet - tagsüber in ihrer gemeinsamen Bude und abends im Schlaf­saal, dem sog. Ochsenstall? Waren es Gesprä­che über das Theologiestudium und ihre Mühe damit? Haben sie sich an den Ideen der französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit berauscht? Im Verborgenen, wohlweislich.

Denn trotz aller Aufklärung waren die Vorschriften im Stift nach wie vor uner­träg­lich eng. Und der Verdacht, dass die Stiftler eine revolutionäre Gesinnung hegten, durfte erst gar nicht aufkommen, damit der autoritäre Herzog Carl Eugen die Ru­he und Ordnung nicht gefährdet sah.

Und da haben sich Drei gefunden, die vom Aufbruch in die Freiheit ange­steckt worden waren!

Was ist das für ein Glück, wenn man Menschen findet, in denen die eigenen, noch unfertigen Gedanken einen Widerhall finden, wo man sich ereifern und wieder bremsen, die Dinge philosophisch und poetisch betrachten kann - Wärme trinkend von des Freundes Blick und stark genug, um Despoten zu widerstehen - wie Hölderlin es im Lied der Freundschaft besingt.

Solche Freundschaft brauchen wir. Um miteinander ins Offene zu gehen, ins

"menschenfreundliche Mailicht". Um nicht zu verzweifeln. Und um die himm­lische Vision von Geschwisterlichkeit vor Augen zu behalten.

Zur Übersicht

Die wöchentlichen Andachten
evangelischer bzw. ökume-
nischer Autorinnen und Autoren (Angedacht KWZ
und Zum Sonntag, LKZ)
werden zeitnah in diesem
Archiv erfasst.