Zum Sonntag: Kalte Religion in heißen Zeiten

Veröffentlicht am Sa, 04.08.2018
von Martin Wendte
Pfarrer, Citykirche-Ludwigsburg -art-und-weise- -
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Ludwigsburg-Friedenskirche -

Ein Eis am Nachmittag oder die Füße in einem Eimer kalten Wasser: Die letzten Wochen haben uns wieder erfahren lassen, wie gut eine Abkühlung in hitziger Zeit tut. Das gilt auch für die Religionen. Auch Religionen haben heißere Phasen und kältere, und die kälteren sind durchaus wichtig. Ihre heiße, intensive, lebendige Phase haben Religionen fast immer bei ihrer Gründung. Dann tritt ein Prophet oder ein Mensch auf, der von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein. Mit feuriger Rede reißt er seine Anhänger aus ihrem normalen Leben heraus. Fundamentalistische Strömungen in späterer Zeit versuchen oftmals, an diese heiße Gründungsphase anzuknüpfen.

Fast immer folgt auf die Gründung eine Phase der Abkühlung. Die Religion wird auch für den Alltag lebbarer, sie wird routinierter und weniger spektakulär. Das hat durchaus seine Vorteile, denn die Religionen sind dann toleranter, weniger autoritätsfixiert und freiheitlich vom einzelnen Menschen verantwortet und gelebt. Das Christentum in Deutschland ist nach seiner heißen Gründungsphase und nach vielen hitzigen Neuaufbrüchen in der Reformation und danach heute fast durchgehend eine erkaltete Religion, mit allen eben benannten Stärken.  

Wichtig ist aber, dass wir auch bei unserer erkalteten Religion immer wieder Kontakt mit dem heißen Kern haben, der bleibend existiert. Im Christentum kann das ein Bibelvers sein, der mich auf einmal packt, oder ein Musikstück, das eine Saite meiner Seele zum Klingen bringt. Oder ich gehe in der Sommerhitze in eine kühle Kirche und spreche langsam und tastend ein altes Gebet, das dort an der Wand steht. Ihnen viel Spaß dabei, in der heißen Sommerzeit Kontakt aufzunehmen mit dem heißen Kern unserer erkalteten Religion!