Zum Sonntag: Ich habe Angst

Veröffentlicht am Sa, 07.07.2018

„Ich habe einfach Angst“. Diese Worte höre ich oft aus dem Mund von Patientinnen und Patienten.
„Angst, dass es schlechter wird, Angst, dass die Ärztinnen und Ärzte mit ihrem Latein am Ende sind, Angst, dass ich bald sterben muss. Aber ich will leben, ich möchte meine Enkel aufwachsen sehen. Ich will nicht sterben.“

Je älter ich werde, desto besser kann ich das nachvollziehen. Ich will jetzt auch nicht aus dieser Welt gehen. Als junge Pfarrerin kannte ich die Angst vor dem Sterben und vor dem Tod nicht. Die meisten Menschen, die ich sterben sah, sind friedlich eingeschlafen dank einer sehr guten Schmerzmedizin. Ich durfte viele Sterbende begleiten und dabei sehen, wie wohltuend Angehörige den Abschied von ihren Lieben gestaltet haben. Da war viel Würde. Und da war viel Liebe. Inzwischen bin ich eine erfahrene Klinikpfarrerin und habe auf einmal Angst vor dem Sterben und vor dem Tod. Wir haben Angst, nicht nur vor Krankheit und Tod, sondern auch vor Niederlagen, vor dem Verglichenwerden, vor abschätzigen Blicken. Wir haben vor vielem Angst. Wir haben alle Angst und niemand kann sie wegreden. Man kann sie auch nicht wegbeten. Angst muss man anerkennen. Das ist der Punkt. Das fällt den meisten Menschen schwer. Unsere Leistungsgesellschaft tut das Ihre dazu. Angst zuzugeben kommt offenbar einer Niederlage gleich, ebenso wie Tränen. Hat nicht kürzlich Oliver Kahn im Champions League Finale geäußert, als Mohamed Salah verletzt ausgewechselt werden musste, „weinen sollen die Jungs in der Kabine.“ Das einzige, was gegen die Angst hilft, ist, sie anzuerkennen. Sich zuzugestehen, Angst zu haben, und herauszufinden, was hilft, sie auszuhalten. So lässt sich Angst überwinden. Manchmal hilft ein Mensch, manchmal die Erinnerung an etwas Schönes, das man erlebt hat. Manchmal hilft, mich daran zu erinnern, dass Gottes Hand mich hält.