Zum Sonntag: Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.

Veröffentlicht am Sa, 05.11.2016
von Karlheinz Hering
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Möglingen -
Pfarrer, Evang. Kirchenbezirk LB - Bezirksämter -

Am 31.Oktober 1517 hat Martin Luther seine 95 Thesen zum Ablass an der Tür der Schlosskirche von Wittenberg angebracht. Er hat damit eine Diskussion ausgelöst, mit der die Reformation der Kirche begonnen hat. Die Kirchen, die aus dieser Reformation hervorgegangen sind (und an vielen Orten auch unsere katholischen Geschwister) feiern deshalb ab dem Reformationsfest 2016 mit vielen Veranstaltungen ein Jahr lang bis zum Jubiläumstag 2017 „500 Jahre Reformation“.„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Luthers Berufung auf sein persönliches Gewissen, einige Jahre später beim Reichstag zu Worms, hat die Welt allerdings mehr verändert als die komplizierte theologische Abhandlung zum Ablass. Hier setzt sich erstmals die Freiheit des Einzelnen gegen die Macht von Kaiser und Papst durch. Und so ist Freiheit eines der wichtigsten Themen der evangelischen Kirche, nicht nur im Jubiläumsjahr.„Ich bin ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan. Ich bin ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Die ersten beiden Sätze aus Luthers berühmter Freiheitsschrift zeigen, dass der ganz dem Mittelalter verbundene Reformator mit Freiheit nicht den Individualismus heutiger Tage meinte, der nicht selten in reinem Egoismus endet. Für ihn war Freiheit immer gebunden an die Gemeinschaft, in Familie, Kirche und Staat. Freiheit hat er nie nur verstanden als Freiheit weg von der Unterdrückung, sondern immer auch als Freiheit hin zur Gemeinschaft, der ich angehöre und die mich braucht. Freiheit ist für Luther nicht Beliebigkeit, sondern hat viel zu tun mit Verantwortung für andere. So bin ich ein „freier Herr“ in allen Dingen, die mich unfrei machen wollen. Und zugleich bin ich ein „dienstbarer Knecht“, der darauf achtet, was mein Nächster braucht. Das kommende Jahr will in ganz besonderer Weise dazu einladen, solche Freiheit zu leben.