Zum Sonntag: Freispruch

Veröffentlicht am Fr, 19.07.2013
von Christoph Bayer
Geschäftsführender Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Tamm -
Pfarrer, Evangelischer Pfarrverein in Württemberg e.V. -
Pfarrer, Evang. Kirchenbezirk LB - Bezirksämter -

Freispruch ist eine tolle Sache. Vor allem, wenn’s ein Freispruch erster Klasse ist. Dann heißt das: die oder der Angeklagte ist schlicht unschuldig. Und beim Freispruch zweiter Klasse? Ob tatsächlich unschuldig, kann niemand beweisen. Aber das Ergebnis ist das gleiche.
In der Bibel gibt’s noch einen Freispruch dritter Klasse: „Denn wir sind der Überzeugung,
dass der Mensch allein aufgrund des Glaubens als gerecht gilt – unabhängig davon, ob er das Gesetz befolgt.“ Schreibt Paulus nach Rom.
Was für ein Richter, was für ein Freispruch! Ich muss keinem Menschen, nicht einmal mir selber, beweisen, dass ich ein anständiger Kerl bin. Ich muss keinen Menschen mehr, auch mich selber nicht, mit Leistungen, Strebsamkeit und Wohlverhalten beeindrucken. Ich muss keinen Menschen mehr, auch mich selber nicht, davon überzeugen, dass ich ein Recht habe, hier zu sein und dazuzugehören.
Allerdings: freigesprochen bedeutet frei von Schuld, aber nicht freigelassen aus dem Rechtssystem. Die Verantwortung bleibt bestehen, sein Leben im Rahmen der Rechtssatzungen zu führen und zu gestalten. Das ist es, was Martin Luther mit seinem paradoxen Satz in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ sagen will: „Der Christ ist ein freier Herr und niemandem untertan; der Christ ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan“.
So bewährt sich der Freispruch nur, wenn ich ihn auch für meine Mitmenschen gelten lasse. Und dann wird es eben keine grenzenlose, verantwortungslose Freiheit. Vielmehr ist es der Auftrag, das Zusammenleben so zu gestalten, dass möglichst jeder Mensch das spüren kann, jeder Mensch in dieser Gewissheit leben kann: so, wie ich bin, spricht Gott mich frei.