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Zum Sonntag: Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde …

Veröffentlicht am Sa, 13.06.2020
von Martin Merdes
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Asperg

Der Mathelehrer fragt: „Was ist die Wurzel von neun?“ Eine Schülerin antwortet: „Ich glaube drei!“ Daraufhin der Lehrer: „Glauben heißt: nicht wissen.“ Wenn es um Fakten geht, ist Wissen mehr wert, als vage Vermutungen. Der Lehrer fragt danach, was man weiß und will darum nicht hören, was man glaubt.

Wenn mich jemand fragt: „Was glaubst du eigentlich?“, dann will er von mir nicht in erster Linie hören, was ich weiß oder was ich womöglich nur vermute. „Was glaubst du denn?“ Da geht es nicht um Fakten, sondern es geht darum, was mein Leben trägt. Es geht darum, worauf ich mich verlasse, was ich hoffe und wem ich vertraue. Es geht darum, worauf mein Leben gründet und woraus ich Hoffnung schöpfe und Zuversicht gewinne – auch und gerade in Zeiten von Corona. Glauben heißt nicht: Einem Katalog von Lehrsätzen, die für Fakten gehalten werden, zuzustimmen, sondern glauben bedeutet, mein Vertrauen ganz und gar auf etwas zu setzen, was außerhalb meiner selbst liegt.

In unserem Glaubensbekenntnis sagen wir: „Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Das heißt: Ich vertraue darauf, dass dieser Geist in meinem Leben und in der Welt am Werk und wirksam ist. Ich glaube es, aber ich kann es nicht beweisen, so wie der Lehrer den mathematischen Beweis der Wurzelberechnung führt. Denn sehen kann man diesen Geist nicht – aber man spürt seine Auswirkungen.

Der Schweizer Dichter und Pfarrer Kurt Marti hat einmal gesagt: „Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde / vielmehr vergleicht die Schrift ihn mit dem Winde.“ Eine Zimmerlinde kann man sich anschauen, sie in die Ecke stellen. Den Wind aber muss man spüren.

Dass Gott bis heute im Leben von Menschen wirkt, kann man nicht beweisen, ich kann es nur für mich, in meinem Leben spüren: „Dich schickt der Himmel!“ sagen wir zum Beispiel, wenn uns jemand unverhofft zu Hilfe kommt. Tatsächlich kann Gottes Gegenwart in der Begegnung mit einem anderen Menschen spürbar werden: wenn es nach einem jahrelangen bitteren Streit zwischen Geschwistern endlich zur Versöhnung kommt; wenn einem urplötzlich ein Licht aufgeht und einem etwas einleuchtet; oder wenn die Gemeinschaft in einem Gottesdienst mich mit meinen Sorgen und Ängsten trägt. Dann spüre ich: Gottes Geist, Gottes Gegenwart und Liebe wirken in meinem Leben.

Klar, von außen betrachten oder beweisen kann ich das nicht. Ich vertraue darauf. Im Übrigen beruhen alle wichtigen Dinge, zum Beispiel Liebe, Freundschaft oder Frieden nicht auf Beweisen, sondern auf Vertrauen. Und man muss sie erleben, nicht betrachten.

Wenn Gottes Heiliger Geist am Werk ist, gibt es möglicherweise nichts zu sehen, aber viel zu erleben. Das können Sie glauben.

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