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Andacht- und Predigt Archiv

Um der Schönheit Gottes Willen

Veröffentlicht am Fr, 08.11.2019

Manchmal ist es wichtig, Gewohnheiten zu durchbrechen. Verzichten, mich zurückziehen, lassen, was bisher selbstverständlich war, Anforderungen und Ablenkungen, die meine Aufmerksamkeit wollen, zurückstellen. Im Glauben finde ich das: immer wieder ein Stück unabhängig werden von dem, was mich sonst im Griff hat. Die Mystik ist eine besondere Weise in den Religionen, das zu erfahren: Unabhängigkeit, Freiheit. Die Frauen, die das christlich-islamische Frühstück vorbereiten, haben „Mystik“ zum Thema des Frühstücks  vor einigen Wochen in der Ayasofya-Moschee gemacht:
Verzicht ist eine Möglichkeit, mich zurückzuziehen. So lebten die ersten Mystiker in der christlichen und der islamischen Tradition: Askese - wenig essen, wenig reden, wenig brauchen. Der Grund, so zu leben, war häufig verbunden mit der Angst vor Gott als Richter. Frauen, Mystikerinnen haben die Mystik verändert. Sie haben genauso einfach, zum Teil in Armut gelebt, aber die Angst vor Gott spielte dabei keine Rolle. Eine der berühmtesten Mystikerinnen ist Rabia al Adawiyya, bekannt bei uns auch als Rabia von Basra. Gelebt hat sie im 8. Jahrhundert. Von ihr wird folgende Geschichte erzählt:
„Eines Tages sah man Rabia mit einer Fackel und einem Eimer Wasser durch Basra laufen. Auf die verwunderten Fragen, welchen Sinn das hat, soll sie geantwortet haben: „Mit dem Wasser möchte ich die Hölle löschen und mit der Fackel das Paradies anzünden, damit diese beiden Schleier verschwinden und Gott nicht mehr aus Angst vor der Hölle und nicht aus Hoffnung auf das Paradies angebetet wird, sondern um seiner unendlichen Schönheit willen.“
Angst, Sorge und Hoffnung, das treibt meine Gedanken an; was ich tue und wie es mir geht, werden davon bestimmt. Rabia hat asketisch gelebt, aber nicht aus Angst oder weil sie sich dadurch Hoffnungen gemacht hätte. An Gott glauben um seiner unendlichen Schönheit willen, um seiner selbst willen – dieser Gedanke wird von ihr überliefert. Mich fasziniert dieser Gedanke. Er berührt mich um seiner Schönheit willen. Ich beginne zu staunen und höre auf, für Alles Gründe zu suchen. Eigentlich ist es mir wichtig, immer Rede und Antwort zu stehen für meine Überzeugungen und mein Handeln – auch für meinen Glauben. Aber ich komme dabei an Grenzen. Auch bei anderen wesentlichen Dingen komme ich an Grenzen, wenn ich sie begründen müsste. Es gibt keine Erklärung, keine Begründung für die Würde eines jeden Menschen. Jeder Mensch trägt diese Würde in sich. Niemand erwirbt sie, niemand verfügt darüber.
Rabia al Adawiyya ist für mich auch deshalb aktuell, weil so oft die Fragen gestellt werden: Was bringt’s? Was habe ich davon? Nützt mir das? Diese Fragen werden Vielem im Leben nicht gerecht, vor allem den wesentlichen Dingen nicht. Nicht aus Angst, nicht weil es mir nützen könnte oder weil ich besondere Hoffnungen damit verbinde, sondern um der Schönheit, der unendlichen Schönheit Gottes, um der Würde eines jeden Menschen, um des Lebens willen - Augenblicke, dem nachzuspüren, davon angerührt zu werden, das haben wir beim gemeinsamen Frühstück in der Moschee erlebt. Solche Augenblicke wünsche ich uns immer wieder.
Elserose Haug



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