Sie sind hier: Gemeindebrief > A - Z > Predigt + Andacht - Archiv

Andacht- und Predigt Archiv

Ohne Empfänger verhallt der Dank

Veröffentlicht am Fr, 02.10.2015
von Franz Nagler
Pfarrer / Kath. Kirche, Kath. Kirchengemeinde St. Martinus Kornwestheim

Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger schrieb einmal das folgende Gedicht mit dem Titel: Empfänger unbekannt:„Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavierund, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn und für allerhand andre verborgne Organe,
für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.
Herzlichen Dank dafür, dass mir das Feuerzeug nicht ausgeht,
und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl und für das Koffein,
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende und die paar Minuten dazwischen inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.“

Herausfordernd ist vor allem der Titel, denn er gibt ein Problem unserer Zeit wieder. Wer ist nicht bereit in seinem Inneren Dank für vieles im Leben zu sagen. Zwischenmenschlich klappt es auch irgendwie. Doch damit bleiben wir mit unserem Dank zumeist im innergesellschaftlichen Kontext, der schnell bricht, wenn es wenig zu danken gibt. Der Dank, der vielleicht in stillen Stunden für das „Widerfahrnis des Lebens“ empfunden wird, verhallt im Leeren, in der eigenen Psyche, wenn da kein Empfänger mehr bekannt ist: „Empfänger unbekannt.“

    Es war Papst Franziskus, der in seiner letzten Enzyklika: „Laudato si“ folgendes scharfsinnig notierte: „Der gegenwärtige Fortschritt und die bloße Häufung von Gegenständen und Vergnügen reichen nicht aus, um den menschlichen Herzen Sinn zu verleihen und Freude zu schenken. Die großen Mythen der Neuzeit, wie totale individuelle Freiheit, unkontrollierter Fortschritt, Konsumorientiertheit und regelloser Mark überzeugen nicht mehr. Dagegen muss ein ökologisches Gleichgewicht, ein Bündnis mit der Natur zurückgewonnen werden, ein inneres Gleichgewicht mit sich selbst, ein solidarisches Gleichgewicht mit den Mitmenschen, ein natürliches Gleichgewicht mit allen Lebewesen und ein geistliches Gleichgewicht mit Gott.“  In diesem Rahmen würde das Gedicht von Enzensberger nicht mehr nur einen Empfänger erhalten, sondern mehrere und zugleich ein inneres und äußeres Gleichgewicht, das den Dank dann für das gelebte und zu lebende Leben fruchtbar werden lässt. Das war auch die Lebensperspektive dieses großen Menschen aus dem Mittelalter: Franz von Assisi. Sein Leben überdauerte die Zeiten, weil er dieses umfassende Gleichgewicht mit sich, innerhalb der Schöpfung, mit dem Gott des Leben fand, so sehr, dass für ihn alles Geschwister wurden: die Natur, die Menschen, selbst der Tod. Sein Dank für das Leben hatte einen Empfänger, hatte viele Empfänger.

Pfarrer Franz Nagler

Zur Übersicht

Die wöchentlichen Andachten
evangelischer bzw. ökume-
nischer Autorinnen und Autoren (Angedacht KWZ
und Zum Sonntag, LKZ)
werden zeitnah in diesem
Archiv erfasst.