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Andacht- und Predigt Archiv

Lebendiger Dialog benötigt

Veröffentlicht am Fr, 02.09.2016
von Franz Nagler
Pfarrer / Kath. Kirche, Kath. Kirchengemeinde St. Martinus Kornwestheim

Siddhartha Gautama (450-370 v. Chr.) stellte sich zu seiner Zeit gegen die Ritengläubigkeit der Brahmanen und gab seinen Nachfolgern die sogenannten „Vier Edlen Wahrheiten“ und den „Achtfachen Pfad“ für diesen Weg mit. Die vier edlen Wahrheiten lauten: (1) Es gibt Leid im Leben, das Leben ist frustrierend und unvollkommen; (2) Dieses Leid entsteht durch Begierde, Egoismus; (3) Es ist möglich sich vom Leid zu befreien; (4) Dieser Weg wird gezeigt im sogenannten Achtfachen Pfad zum rechten Leben. Der Achtfache Pfad verlangt: (1) rechte Ansicht und Einsicht; (2) rechtes Motiv, rechte Gesinnung; (3) rechte Rede; (4) rechtes Tun; (5) rechter Lebensunterhalt; (6) rechte Anstrengung; (7) rechte Achtsamkeit; (8) rechte Konzentration, rechte Meditation.

Alle Regeln beginnen mit dem Wort „recht“, lehnen damit alle Ichbezogenheit ab und wenden sich ans Ganze. So die Lehre. Als wir dieses Jahr von der Martinusgemeinde aus in Vietnam und Kambodscha waren, da waren wir in mehrheitlich buddhistischen Ländern. Wie sah diese Praxis aus? Es war zu beobachten, wie die Glaubenden, fast ähnlich wie wir, in ihre Tempel gingen, dort ihre Gebete verrichteten und Geld in die aufgestellten Truhen gaben, verbunden mit der Bitte, dass ihnen Gott oder Bud­dha oder einer der Bodhisatt­was in ihren Nöten und Sorgen helfen möge.

Dies ist eigentlich ein Unding, da der Buddhismus in diesem Sinne keinen Gott, schon gar nicht einen persönlichen kennt. Buddha gilt als weiser Lehrer, aber das ist es auch schon. Die Praxis der Glaubenden zeigt nun, dass es für die Menschen eine Überforderung, wenn nicht gar eine Verformung ist, nur einer Lehre zu folgen. Das Bedürfnis wie die Möglichkeit, zu einem Gott mit menschlichem Angesicht reden zu können, sitzt so tief im Wesen des Menschen, dass es nicht ausrottbar ist. Gleichgültig, ob es die Philosophie des Konfuzius oder des Buddhismus ist, die Menschen werden ihr Heil nicht in einer moralischen Anstrengung finden, sondern im lebendigen Dialog mit einem Gott der Befreiung.

Das Verhalten Jesu, mit Gott wie mit einem Vater reden zu können, entspricht unserem Wesen als Menschen. Wo wir erfahren, dass dieser Gott uns trägt, uns begleitet, da bekommen dann auch die Gesetze und Regeln wieder ihren Stellenwert und Sinn. Ob diese Regeln nun der achtfa­che Pfad oder die Zehn Gebote oder die Bergpredigt sind, ist kein wesentlicher, sondern eher ein gradualer Unterschied. Die Praxis der Glaubenden ebnet letztlich die dogmatischen Gerüste der Religionen ein. Das ist ein gutes Zeichen für alle Ökumene, wenn man Ökumene versteht als eine Spiritualität, die die Welt für alle Lebewesen bewohnbar halten und dazu beitragen will, dass die Erde bewohnbar bleibt und alle Menschen in Würde leben können.


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