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Andacht- und Predigt Archiv

Kapellenlose Religiosität?

Veröffentlicht am Fr, 27.12.2013
von Franz Nagler
Pfarrer / Kath. Kirche, Kath. Kirchengemeinde St. Martinus Kornwestheim

An Weihnachten haben wir den herausfordernden Prolog aus dem Evangelium von Johannes gehört. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott … Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde  nichts, was geworden war.“ Es scheint, dass Johannes hier jener „kapellenlosen“ Religiosität, wie Rainer Maria Rilke sie einmal nannte, das Wort reden würde. Gerade an Weihnachten, ein Fest an dem die Kirchen mit viel Gefühl und Brauchtum die Geburt Jesu feiern, wird diese Botschaft verkündet. In dieser „kapellenlosen“ Religiosität finden sich heute viele, die der Überzeugung sind, dass alle belebten und unbelebten Formen miteinander verbunden sind, die eine Ahnung davon haben, dass unser Leben von einer universellen, göttlichen Energie hervorgebracht, durchdrungen und zusammengehalten wird, die glauben, dass wir Menschen gerufen sind uns mit dieser göttlichen Energie in Verbindung zu setzen, um von ihr inspiriert unser Leben zu gestalten, die sich gewiss sind, dass Werte wie Dankbarkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Gewaltlosigkeit, Versöhnungsbereitschaft solchem Glauben entsprechen, die zutiefst annehmen, dass Glück und Lebenssinn, wie Liebe, Freude Schönheit und Liebe, nicht im Materiellen zu finden sind.Der Johannesprolog scheint diesem heutigen Denken und Glauben Recht zu geben. „Im Anfang war das Wort … und das Wort war Gott … In ihm war das Leben und das Leben war das Licht für die Menschen.“ Damit endet aber dieser Prolog nicht. Es kommt in diesem Prolog zum einzigen Mal das Wort vor, das wir so oft an Weihnachten hören, das Wort von der Menschwerdung. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ Dieser allgemeine, kapellenlose Glaube wird in der Bibel geerdet. Er bekommt eine Kapelle, das Gesicht eines Menschen, eine Geschichte, die sich in die Kirchen hineinverlängert. Man mag zu den Kirchen stehen, wie man will, ohne sie gäbe es nicht einmal einen kapellenlosen Glauben. Nahezu jeder kapellenlose Glauben zehrt von den Kapellen, von den Kirchen. Insofern braucht der kapellenlose Glaube doch wieder die Kirchen, auch wenn  er sich nicht dazu bekennt. Jedoch die Anfrage geht viel tiefer. Was nützt ein Glaube, wenn er nicht konkret in die Geschichte eingreift, wenn er sich nicht einsetzt für Gerechtigkeit und Frieden weltweit, wenn er nicht den Armen zur Seite steht, wenn er nicht seine Stimme erhebt, um die Armen zu verteidigen und die Ungerechtigkeiten anklagt. So scheint der kapellenlose Glaube oft in eine bequeme Wohlstandsideologie abzudriften, der nur die bürgerliche Existenz rechtfertigt, aber nicht mehr an der Seite der Armen zu finden ist. Gott hat da viel konkreter gedacht. Er wurde Mensch, gab sich als Nahrung, als Brot, um Leib auf der Erde zu werden und zu bleiben.

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