Der Apostel Paulus

Veröffentlicht am Fr, 15.07.2016

mit angehaltenem Atem. Ich erlebe unsere aktuelle Situation auch so. Wir laufen Gefahr, eine gespaltene Gesellschaft zu werden: Europabefürworter, Europagegner da, Willkommensheißer von Flüchtlingen versus Grenzendichtmacher, Globalisierungsgewinner gegen -verlierer. Unüberwindliche gesellschaftliche Gräben kommen da zum Vorschein und es braucht wie selten Paulusmentalität: Feinsinn, Herzblut und Mut.
Während die Lager übereinander den Stab brechen und über die jeweils andere Meinung richten, ruft Paulus dazu auf, den eigenen Sinn neu auszurichten: Am Wohlergehen dessen, der anderer Meinung ist als ich, entscheidet sich meine Menschlichkeit und mein Glaube. Der französisch-litauische Philosoph Emmanuel Levinas würde es so formulieren, dass wir die Andersheit des Anderen mehr schützen sollen als unser eigenes Leben und unsere eigene Identität, dass unsere begrenzte Identintät im Anderen im Werden ist.
Während die einen ihre eigenen Fähigkeiten und Begabungen preisen und andere abwerten, zieht Paulus Verbindungslinien zwischen den verschiedenen Fähigkeiten und Fertigkeiten und malt daraus das Bild eines Leibes, der alle seine Körperteile mit ihren jeweiligen Gaben dringend braucht und erst als ganzer schön und lebendig ist.
Während die einen ihre Standfestigkeit und klaren Prinzipien und Werte rühmen, achtet Paulus seine eigenen Prinzipien für wertlos (obwohl er sie durchaus geltend machen könnte). Er richtet sich an Christus aus, und das ist etwas anderes als sich an Prinzipien auszurichten, denn Christus/Gott ist nicht verfügbar, nicht vereinnahmbar: Worin, in welchem Erleben, in welchem Menschen, in welchem fremden Anderen mir Gott begegnet, das entscheidet sich immer neu, darauf kann ich nur mit Offenheit zugehen. Dass am Bruder, an der Schwester auf der anderen Seite des Grabens alles hängt, was Wert und Würde hat, diese Ernsthaftigkeit mag ich gerade sehr an dem Apostel Paulus.