Sie sind hier: Gemeindebrief > A - Z > Predigt + Andacht - Archiv

Andacht- und Predigt Archiv

Armut beschämt

Veröffentlicht am Fr, 08.02.2019
von Prälatin Gabriele Arnold

Vor sich ein Plastikschälchen, darin einige Münzen. Denn wenn ich wirklich wüsste, wie es sich anfühlt, da zu sitzen, dann würde ich wahrscheinlich vor Scham in den Boden versinken.
Armut beschämt. Sie beschämt auch mich.  Nicht weil ich arm wäre, sondern im Gegenteil. Ich habe viel zu viel von allem, höchstens zu wenig Zeit. Ich bin reich und Teilen fällt mir schwer. Schnell habe ich gute Argumente zur Hand, um nichts in das Schälchen der Bettlerin zu werfen. Wir alle haben diese Argumente und vielleicht ist ja auch was dran. Vielleicht steckt dahinter ja organisierte Bettelei, vielleicht sind das ja alles nur faule Tricks, vielleicht - vielleicht.
Jesus hat es nicht so mit Argumenten. Er ist Partei. Er wendet sich den Armen zu. Er fragt nicht, ob Almosen geben oder nicht. Das ist für ihn ganz klar. Frömmigkeit erweist sich im Mitleid. Frömmigkeit ist eine Herzenshaltung, die nicht rechnet und nicht argumentiert. Frömmigkeit lässt sich anrühren und öffnet selbstverständlich und lautlos die Hände. Frömmigkeit ist nicht hochnäsig und schaut nicht auf andere herab. Frömmigkeit spielt sich nicht zwischen dem lieben Gott und mir ab. Frömmigkeit ist radikal irdisch.
Offenbar ist für Jesus die Herzens Haltung entscheidend. Wer gibt, um vor sich, vor anderen oder gar vor Gott gut dazustehen, kann es auch lassen. Deshalb sagt er: „Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden, ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.“ ( Mth 6,1)
Das widerspricht unserer Logik. Kann es der Bettlerin nicht egal sein, warum die Münzen in ihrem Schälchen landen? Hautsache, sie hat überhaupt etwas? Jesus meint: Nein. Und ich vermute, er will so die Würde der Armen und der Geber bewahren. Wenn ich etwas gebe, während ich meinen Mitmenschen voll Freundlichkeit und Mitleid in die Augen blicke, dann lasse ich auch dem Armen seine Würde.
Wir alle, egal ob Arm oder Reich, haben einen Vater im Himmel. Und deshalb sind wir im Himmel, aber eben auch schon auf der Erde eine Familie. Und in unseren Familien, da wird doch auch geteilt und geholfen - hoffentlich!
Und deshalb gehe ich jetzt in die Stadt und werfe nicht, sondern lege ein Almosen in das Schälchen von wem auch immer.


Zur Übersicht

Die wöchentlichen Andachten
evangelischer bzw. ökume-
nischer Autorinnen und Autoren (Angedacht KWZ
und Zum Sonntag, LKZ)
werden zeitnah in diesem
Archiv erfasst.