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Angedacht: Under Destruction

Veröffentlicht am Do, 13.09.2012

Zeitgenössische Kunst ist ein Seismograph für brodelnde und latente Themen unserer Zeit. Sie entdeckt und erspürt Stimmungen und Entwicklungen, die gesellschaftlich da, aber noch nicht richtig greifbar sind. Im Moment schlägt dieser Seismograph häufig beim Thema Zerstörung, Vergehen, Destruktion aus: Basel hatte eine „Under Destruction“ Ausstellung, die Documenta 13 beschäftigt sich mit „Zusammenbruch und Wiederaufbau“. Ein Künstler etwa katalogisiert sein komplettes Hab und Gut, verpackte jedes der 7.227 Teile einzeln und ließ diese in einem Kaufhaus inmitten Londons zerstören. Was bleibt von mir und meiner Identität ohne meine Habe, fragt man. Oder handelt es sich um einen Akt der Befreiung? Ein anderes Werk besteht schlicht aus einer Bombe, die im Jahr 2104 explodieren wird. Diese in ferne Zukunft verlagerte Zerstörung macht auch etwas mit uns heute. Und wieder einer hält photographisch fest wie er ein Bild eines Radiergummis zeichnet, dieses Bild wird dann mit dem Radiergummi ausradiert und das ganze so lange wiederholt, bis der Radiergummi und sein Portrait verschwunden sind. Geht es um Lebenszyklen, um eine Erinnerung daran, dass wir vergänglich sind oder um sinnlose Energie- und Ressourcenverschwendung, oder...?
Dass „Zerstörung“ so gegenwärtig zu sein scheint, erschreckt mich, vor dem 1. Weltkrieg gab es schon mal so eine Stimmung in Europa. Ja, es hat sich viel Gutes entwickelt seither, was ohne die Zerstörung des Alten nicht möglich gewesen wäre, Demokratie, Bürgergesellschaft, soziale Absicherung, … aber fand das wegen oder gegen die Zerstörung statt? Alternativ könnte doch auch  Humor  eine Möglichkeit sein Zerstörerisches zu zerstören: als das Parlament, in der DDR, schallend zu lachen begann, als Stasichef Mielke seine berühmten Worte „ich liebe euch doch alle“ sprach, war das alte System und seine Lügen weggelacht, quasi totgelacht. Manche Menschen verstehen es auch Veränderungen zu bewirken, indem sie das, was sie verletzt oder kränkt in Worte fassen, die berührend sind, die einen nicht kalt lassen - und Veränderungen treten ein.Viel Zerstörerisches gibt es zwischen uns, auch in uns und es scheint im Moment ein gesellschaftliches, vielleicht auch ein systemimmanentes Problem zu sein, auf das wir werden reagieren müssen. Vielleicht setzen Sie ja als erstes an meinem Text den erwähnten Radiergummi an und tragen in die entstandenen Leerstellen ihre eigenen Ideen und Lösungsmöglichkeiten ein.

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