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Angedacht: Ratlosigkeit

Veröffentlicht am Fr, 17.08.2012

Ratlosigkeit. Gar nicht so selten packt sie mich: Da sitze ich bei einer mir unbekannten Familie in am Esstisch. Gerade sind die Polizisten wieder gegangen. Sie hatten der Frau, Mutter von einem achtjährigen Jungen und einem sechsjährigen Mädchen, die Nachricht überbracht, dass ihr Mann vor drei Stunden auf der Autobahn bei Würzburg tödlich verunglückt ist. Ich bin als Notfallseelsorger mitgekommen. Jetzt sitzen wir zusammen. Die Frau ist verzweifelt. Sie erzählt mir, dass beide Kinder nicht gesund sind und das Haus vor kurzem erst gekauft wurde. Ein hoher Schuldenberg ist abzutragen. Stumm sitzt sie da, um im nächsten Augenblick laut zu aufzuschreien. Und ich sitze daneben. Ich suche nach Worte, aber ich merke, dass hier Worte kaum helfen.
Als Seelsorger erlebe ich das immer wieder, besonders an einem Krankenbett, wenn alle spüren: Es gibt keine Genesung mehr, die ärztliche Kunst ist ausgereizt, es geht dem Ende, dem Tod entgegen.
Ratlosigkeit. Ich erlebe sie seit Monaten in mir, wenn ich an die europäische Schuldenkrise denke. Die Expertenaussagen widersprechen sich diametral. Es gibt offensichtlich keine eindeutigen Handlungsstrategien. Und bei einen Urlaub in Griechenland habe ich selbst erlebt, wie die Beschlüsse der Regierungschefs neue Ungerechtigkeiten und Belastungen erzeugen, die vor allem die Armen tragen müssen. Selten in meinem Leben war ich in der politischen Diskussion so hin-und hergerissen, ratlos.
Manchmal ist guter Rat sehr teuer. Als moderner Mensch, der gewohnt ist, auf jedes Problem eine Antwort zu wissen, jede Herausforderung lösen zu können, fällt mir das schwer. Ich muss neu lernen abzuwarten, meine Ratlosigkeit und Traurigkeit auszuhalten, Gelassenheit zu üben. In solchen Zeiten bin ich besonders froh, dass es das Gebet gibt: „Gott, steh der verzweifelten Frau, bei. Gib ihr Kraft, bewahre sie vor bösen Kurzschlussreaktionen. Lass sie Menschen finden, die sie begleiten, trösten und aufrichten.“ Oder: „Gott schenke den Verantwortlichen in der Politik und Bankenwelt kluge Weisheit, ruhige Besonnenheit und frischen Mut. Bewahre sie vor der Versuchung, als entschlossene Macher Scheinlösungen zu produzieren. Gib ihnen den Mut, das Übel an der Wurzel zu packen und der Geldgier wirksame Schranken zu setzen.“ Ich möchte mich da  von der Zuversicht des Liederdichters Paul Gerhard anstecken lassen: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“Christoph Rau

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