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Andacht- und Predigt Archiv

Aigners Apfelbilder

Veröffentlicht am Fr, 12.10.2018
von Bettina Zehner
Diakonin, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Diakonat -

Nicht nur diese 3, sondern weitere 599 Apfelsorten hat Korbinian Aigner (1885-1966) auf kleine postkartengroße Karten in jahrzehntelanger Arbeit gemalt. Er machte sich schon damals Gedanken über die schwindende Sortenvielfalt und wollte möglichst viele Sorten dokumentieren und katalogisieren. Erstmals zu sehen waren die Bilder auf der Documenta 13.

Korbinian Aigner malt, pflegt und pflanzt Apfelbäume und er gründet einen Obstbauverein.

Das alles neben seinem eigentlichen Beruf. Er ist nämlich Priester und Pfarrer. Seine Vorgesetzten sehen seine Apfelleidenschaft kritisch. Sie meinen, er sein mehr Pomologe als Theologe.

Für Korbinian Aigner gehört beides zusammen. Er sieht es genauso als Dienst an der Schöpfung an, Apfelbäume zu setzen und zu pflegen, wie einen Gottesdienst zu halten. Den Bauern in den umliegenden Dörfern steht er in seelsorglichen Angelegenheiten zur Seite und in Fragen des Obstanbaus. Von den kritischen Vorbehalten seiner Vorgesetzten lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen.

Allerdings stehen die Zeitzeichen auf Sturm. Er kommt in Konflikt mit der Politik. Zunächst weigert er sich anlässlich der Reichstagswahlen die Glocken seiner Kirche zu läuten. Das bringt ihm eine Strafversetzung ein. Nach dem Attentat von Georg Elser auf Hitler soll er im Religionsunterricht Verständnis für das Attentat und den Attentäter geäußert haben. Jemand denunziert ihn, er wird verhaftet und kommt zunächst ins KZ Sachsenhausen und dann nach Dachau.

Dort arbeitet er als Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft. Und dort beginnt er auch aus Apfelkernen Bäumchen zu ziehen. Die Setzlinge pflanzt er zwischen die Lagerbaracken. Er nennt sie KZ 1, KZ 2, KZ 3 und KZ 4. Irgendwie gelingt es ihm, ein paar Setzlinge nach draußen zu schmuggeln. Eine Sorte ist auch heute noch als Korbiniansapfel bekannt.

Als ich seine Apfelbilder diesen Sommer bei einer Ausstellung gesehen habe, war ich sehr berührt und beeindruckt. In diesen Bildern, die er mit einem Schulmalkasten gemalt hat, immer 2 Äpfel aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf einem Bild, ist Korbinian Aigners große Liebe zur Schöpfung zu erkennen. Rote, grüne, gelbe, kleine, große, raue, glatte und gestreifte Äpfel. Mit einem genauen Blick und viel Liebe zum Detail malte er die Eigenheiten und Unterschiedlichkeiten der Äpfel. Einfach herrlich.

Und dann stelle ich ihn mir im KZ vor. An einem höllischen Ort. Und wie dort eine Idee in ihm heranreift, wie in ihm eine Hoffnung wächst, dass er selbst an so einem Ort schöpferisch tätig werden kann.

Wie er beschließt Apfelkerne einzupflanzen. Wie er sich freut, dass die Pflänzchen wachsen und wie er sie hegt und pflegt, sie umsorgt.

Wie er damit der Grausamkeit, Unbarmherzigkeit und Hoffnungslosigkeit um ihn herum etwas entgegensetzt. Er lässt sich nicht von seiner Umgebung bestimmen und das macht ihn innerlich frei.

Hoffnung, innere Freiheit, Liebe zur Natur. Das brauchen wir Menschen und das wünsche ich uns allen.

 

 

Diakonin Bettina Zehner

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